AUSZÜGE AUS ‚THEATER ALS SCHREIN‘ VON SAHID NADEEM (Paktistan) …
„(…) Ich stamme aus einem überwiegend muslimischen Land, das mehrere Militärdiktaturen, Anschläge religiöser Extremisten sowie drei Kriege mit dem Nachbarn Indien erlebt hat, mit dem wir eine Jahrtausende lange Geschichte und Kultur teilen. Heute leben wir in Angst vor dem Ausbruch eines Krieges mit unserm benachbarten Zwilling oder sogar eines Atomkriegs, da inzwischen beide Staaten über Nuklearwaffen verfügen.
Manchmal sagen wir scherzhaft: „In schlechten Zeiten geht es dem Theater gut.“ Es mangelt nicht an zu bewältigenden Herausforderungen, aufzudeckenden Widersprüchen und zu unterwandernden Zuständen.
(… meine Theatergruppe) Ajoka wurde in den 1980er Jahren während der Militärherrschaft in Pakistan von einer Gruppe junger Künstler*innen gegründet, die die Diktatur mit sozial und politisch kühnem Dissidententheater herausforderten. Ihre Gefühle, die Wut, ihr Leid fanden sie auf überraschende Weise von einem Sufi-Barden, der etwa 300 Jahre früher lebte, in Worte gefasst. Es handelte sich um den großen Sufi-Dichter Bulleh Shah.
Ajoka erkannte, dass es mithilfe seiner Dichtung Aussagen von politischer Sprengkraft treffen konnte, die die korrupte politische Obrigkeit und die heuchlerische religiöse Elite empfindlich trafen. Die Obrigkeit konnte zwar uns verbieten oder verbannen, nicht aber einen so verehrten und beliebten Sufi-Dichter wie Bulleh Shah. Wir fanden heraus, dass sein Leben ebenso dramatisch und radikal gewesen war wie seine Dichtung, die ihm zu seiner Zeit Fatwas und Verbannung eingebracht hatte. Daraufhin schrieb ich „Bulha“, ein Stück über Bulleh Shahs Leben und Kampf.“
Übersetzt aus dem englischen Original ins Deutsche von Henning Bochert
SAHID ANDEEM …
… ist der bekannteste Theaterautor Pakistans und Leiter des berühmten Ajoka-Theaters.
Shahid Nadeem wurde 1947 in Sopore in Kaschmir geboren. Als seine Familie nach dem Krieg von 1948 zwischen Indien und Pakistan um den strittigen Status von Kaschmir ins neugebildete Pakistan migrieren musste, wurde er im zarten Alter von einem Jahr zum Flüchtling. Er wohnte in Lahore (Pakistan) und machte dort an der Universität Punjab seinen Master in Psychologie. Sein erstes Theaterstück schrieb er als Student, wurde aber hauptberuflich Theaterautor, als er anfing, aus dem politischen Asyl in London Stücke für die pakistanische Dissident*innen- Theatergruppe Ajoka zu schreiben, gegründet von Madeeha Gauhar, einer Theateraktivistin der ersten Stunde, die er später heiratete.
Unter verschiedenen Militärregierungen war er aufgrund seiner Opposition gegen Militärherrschaft dreimal im Gefängnis und wurde von Amnesty International als Prisoner of Conscience geführt. Im berüchtigten Gefängnis von Mianwali begann er, Wochenendstücke zu schreiben, die von und für Insass*innen aufgeführt wurden. Später arbeitete er als International Campaigns Coordinator und Asia-Pacific Communications Officer für Amnesty International. Er war Forschungsstipendiat beim Getty Research Institute, bei International Pen, USA sowie beim National Endowment for Democracy. Außerdem ist er Mitglied des Netzwerks Theatre Without Borders.
Nadeems Stücke sind bekannt für ihre gesellschaftlich relevanten, auch tabuisierten Themen wie religiöser Extremismus, Gewalt gegen Frauen, Diskriminierung von Minderheiten, Meinungsfreiheit, Klima, Frieden und Sufismus. Mehrere seiner Stücke behandeln die Teilung Indiens und das gemeinsame kulturelle Erbe der Region.
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